PROFIL, Seite 34 u. 35 |
18. Apr. 2005 |
Buchenwald heute |
Reportage. Marianne Enigl begleitete Überlebende
des Konzentrationslagers Buchenwald auf einer Reise anlässlich des
sechzigsten Jahrestags der Befreiung |
Es ist kalt, der Wind
fährt über den Hügel, Marco Feingold scheint nichts davon
zu spüren. Er ist 91 Jahre alt - und steht auf dem riesigen Appellplatz
des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald. Aufgeregt, als wäre
heute damals, lässt er Schüler aus dem nahen Weimar mit ihrer
Videokamera die wichtigsten Momente seines Leben mitfühlen. Er spricht
vom Raunen, das am Vormittag jenes 11. April 1945 durch jeden Block ging,
die SS verlasse das Lager. Es sind zehn Stunden Busfahrt von Wien. 550 Österreicher, so die
Statistik, erlebten die Befreiung des Lagers. Mit Feingold unternehmen
nur noch wenige von ihnen die Zeitreise zum selbst Erlebten: unter ihnen
Eduard Goldmann, 90 Jahre alt, und Othmar Wundsam, 82. Dennoch gibt die
kleine Österreichergruppe eine Antwort auf die Frage, die der deutsche
Bundeskanzler Gerhard Schröder und der spanische Schriftsteller
Jorge Semprun, selbst ehemaliger Buchenwald-Häftling, in den Mittelpunkt
der offiziellen Gedenkfeier stellen: wie das Geschehene weitergeben?
Im Österreicherbus sind sieben Kinder und zwei Enkelkinder ehemaliger
Häftlinge nach Buchenwald gekommen. Der Ukrainer Petro Mischtschuk, 78, trägt seine gestreifte Häftlingsuniform, später streift er einen dünnen Mantel über. Leopold Engleitner wird im Juli einhundert Jahre alt, ist aus St. Wolfgang im Salzkammergut gekommen, sitzt im Rollstuhl. Der Entschlossenheit seines Auftritts tut das keinen Abbruch, sein Buch über die NS-Verfolgung als Zeuge Jehovas heißt „Nein statt Ja und Amen“. Für Riki Gugig, 85, ist die Reise die Erfüllung eines Wunsches ihres verstorbenen Mannes Willi. Sie geht schwer, „aber der Hitler hat uns nicht umbringen können, ich komme, solange ich kann“. In einer der offiziellen Reden auf dem Appellplatz sagt ein ehemaliger Häftling: „Wir Buchenwalder sind nicht die Klageweiber der Geschichte. Wir sind der noch lebende Beweis dafür, dass der Kampf für Frieden, Freiheit und Glück immer möglich ist.“ Die großen Delegationen aus Frankreich, Polen, der Ukraine weisen sich mit eigenen Abzeichen und großen Flaggen als ehemalige Buchenwalder aus. Zeichen der Wertschätzung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in ihren Ländern. Die österreichische KZ-Vereinigung Buchenwald blieb immer weit gehend auf sich selbst gestellt. Hilde Fein, Schriftführerin der Vereinigung, packte für die Österreicher auch diesmal die kleinen Fähnchen aus ihrem persönlichen Fundus ein. Die Gedenkfahrt wurde vom Nationalfonds der Republik gefördert, manche hätten ohne diese Unterstützung nicht mitkommen können. Hilde Feins verstorbener Mann Erich war von September 1938 bis zur Befreiung im KZ Buchenwald. Eines seiner vielen Vermächtnisse, die die 75-Jährige auf dieser Reise begleiten, ist seine Erzählung über die letzten Stunden des jungen Jura Soyfer. Der Schriftsteller lag im Krankenrevier des KZ, schien seine Typhuserkrankung überstanden zu haben, als die anderen ihm mitteilen konnten, sein Ausreisevisum in die USA sei erteilt. Hilde Fein: „Er soll mit einem Lächeln eingeschlafen sein, in der Nacht ist er dann gestorben.“ Das Buch „Rot-Weiß-Rot in Buchenwald“, das Standardwerk über die österreichischen KZ-Insassen, zusammengetragen von Erich Fein und Karl Flanner, ist seit Langem vergriffen, eine Neuauflage nicht in Sicht. Flanners Tochter steht an diesem Jahrestag der Befreiung stumm vor den winzigen Bunkerzellen, in denen die Häftlinge von fünf Uhr Früh bis zehn Uhr abends strammzustehen hatten und hunderte zu Tode gequält und erschlagen wurden. Die Tochter von Erich Dlabaja kommt seit vielen Jahren zumindest einmal jährlich hierher: „Ich will den Weg meines Vaters nachzeichnen, aber es fehlt immer noch vieles.“ Die Tochter von Herbert Karolyi hat einen Brief mitgenommen, den ihr Vater 1944 aus dem Lager nach Hause geschrieben hat: „Die Zeit, da ich ein Recht hatte, jung zu sein, ist leider vorüber, ob man will oder nicht, wird man eben alt, und hier ganz besonders.“ Er war damals zwanzig. Alexander Melach - sein Vater Kurt war einer der vielen österreichischen Kommunisten im KZ Buchenwald - dreht während der Reise den zweiten Teil seiner „Trilogie des Vergessens“. Sein erster Film „Abschied von Buchenwald“ entstand vor zehn Jahren, bekam ausgezeichnete Kritiken - und lief ganze zweimal im Kino. Seine Arbeit versteht er auch als Aufbegehren: „Immer wieder, wenn ich die siebenjährige KZ-Haft meines Vaters erwähne, sehe ich auf den Gesichtern einen Ausdruck, der mir vermittelt, ich hätte etwas Unpassendes gesagt. Ich möchte die Dackelfalten von den Stirnen wischen.“ Othmar Wundsam, seine Tochter und die Enkelin sind erschöpft, als der Bus nach drei Tagen wieder in Wien ankommt. So viel wie jetzt hat der heute 82-Jährige noch nie über das Leid gesprochen, das für ihn „eigentlich nicht benennbar“ ist. Er überlebte den Todesmarsch, auf den die SS tausende Buchenwald-Häftlinge knapp vor dem Ende gehetzt hat, und sagt, es sei die Hölle gewesen. Er ist nicht der Einzige, dem auf dieser Reise Tränen kommen. Für seine Tochter beginnt sich allmählich die Angst zu lösen, die ihr sein Schweigen gemacht hatte: „Ich habe immer gespürt, wie es ihm geht. Es war ein ständiges Gefühl der Gefährdung.“ Jutta, die Enkelin, fand die gemeinsame Erfahrung „super“: „Die Ruinen sagen nicht alles. Aber die Gefühle und die Gedanken meines Großvaters gibt es, die wirken weiter.“ Bildtext: Appellplatz des KZ Buchenwald, 1943 |
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aktualisiert am 10. 1. 2017 |